Als ich 15 Jahre alt war, begann ich mich für den Jazz zu begeistern. Ich verbrachte jeden Tag Stunden damit, die Wörter „Jazz“ und „Saxophone“ bei YouTube einzugeben (damals war das möglich, da YouTube noch nicht so lange auf dem Markt war). Ich kannte damals einfach nicht viel. Ich stieß irgendwann auf ein Video das eine Performance eines All-Star Ensembles des Five-Weeks Workshop zeigte. Für mich war das damals absurd, denn für meine Ohren hörte sich das an wie junge Menschen, die wie die Teufel spielten. Das muss wohl der Ort sein an dem man richtig spielen lernt, dachte ich mir. Da will ich mal hin!
Als ich mich 2017 das zweite Mal für den Kurt Maas Jazz Award bewarb hat es endlich geklappt. Ich wurde mit vier anderen Finalisten in die Endrunde berufen. Der Kurt Maas Jazz Award - gestiftet durch Camilo Dornier im Andenken an Kurt Maas, der maßgeblich am Aufbau der heutigen Jazzabteilung der HMT beteiligt war - wurde erstmals 2013 vergeben und fand nun zum dritten Mal statt. Da die Enttäuschung beim ersten Mal sehr groß war, machte ich mir aber nicht all zu große Hoffnungen und nahm die Sache ganz entspannt. Um so größer war die Freude und Überraschung, als ich dann bei der Preisvergabe meinen Namen hörte. Schnell wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich dieses Jahr noch für fünf Wochen mit einem Full-Stipendium nach Boston fliegen würde. Ein Kindheits- bzw. Jugendtraum wurde wahr. Ein bisschen wusste ich durch Erzählungen von Matthias (1. Platz 2013) und Leo (1. Platz 2015) was mich erwarten würde und trotzdem war ich super gespannt.
Es erwartete mich aber erstmal eine Menge Papierkram. Nicht zu unterschätzen! Katja Götschel, Assistentin des Jazzinstituts der HMT, war mir aber eine große Hilfe dabei. Danke! Nach den ganzen Vorbereitungen konnte es nun endlich los gehen.
Ich machte mich mit meinem für 7 Wochen gepackten Koffer (nach Boston ging es für mich noch weiter nach New York City) und meinem Saxophon auf den Weg nach Boston.
Als ich ankam machte ich mich auf den Weg zu meinem Hostel. Die 5-Weeks würden erst am nächsten Tag los gehen. Ich zog also abends noch durch die Straßen. Das Hostel war direkt am Campus. Als ich die ganzen Gebäude mit dem großen Berklee-Logo sah, war ich überwältigt davon, dass ich ja noch vor 10 Jahren davon geträumt hatte dort zu sein und jetzt selbst dort stehe.
Am nächsten Tag ging es also zur Registration und ich bezog mein Zimmer im Dorm. Ein Mehrbettzimmer im 4. Stock der 270 Commonwealth Avenue. Ein altes Gebäude für Studenten über 18 Jahren das keine Klimaanlage hatte. Dort lernte ich meine zwei sehr freundlichen und lustigen Zimmerkollegen kennen. Tomás, ein Gitarrist in meinem Alter aus Lissabon, und der 18 Jahre alte Kori aus Memphis. Ich wusste es vorher schon aber trotzdem realisierte ich es erst dort. Der Altersdurchschnitt der richtigen „Five-Weekers“ lag sich zwischen 14 und 17 Jahren. Eigentlich zielt der 5-Week Workshop als Vorbereitung und Summer-Camp auf Senior High School Schüler, die sich für ein Musikstudium interessieren. Deren Eltern müssen dafür mehrere Tausend Dollar zahlen. Ich traf bei einem „over 21 come together“ auch endlich ein paar Gleichaltrige, die zu sehr guten Freunden werden würden!
In der ersten Woche fanden zahlreiche Einführungsveranstaltungen und Konzerte im riesigen „Performance Center“ statt. Diese Konzerte waren der völlige Overload. Im Publikum brach unter den Teilnehmern Hysterie aus und ich hörte mehr Geschreie als eigentliche Musik. Die 20-köpfige „Michael Jackson Tribute Band“ gab alles. Ein 150-Kilo Mann schlug Saltos. Schnell bemerkte ich, dass Berklee alles dafür tat den Teilnehmern einen „unvergesslichen“ Sommer zu bescheren und die“5-Weekers“ für ein richtiges Studium zu begeistern. Über die ganzen fünf Wochen konnte man in allen Veranstaltungen zwischen den Zeilen lesen: „Come to Berklee“. Für die meisten war es das größte Ziel, irgendwann in Berklee zu studieren (ein Jahr dort kostet rund 60.000 Dollar). Mit meinen 26 Jahren konnte ich diesen Workshop ein bisschen objektiver betrachten als der durchschnittliche jugendliche Teilnehmer! Ich realisierte, was für ein großer Konzern hinter dem Ganzen steht. Überall konnte man sich alle möglichen Artikel mit dem Berklee-Logo kaufen. Nach einer Woche hatte jeder Teilnehmer seinen Pulli oder sein Shirt.
Natürlich musste nun auch meine musikalische Reise losgehen. In der Einführungswoche gab es mehrere theoretische und praktische Eignungstests anhand der dein „Level“ eingestuft werden sollte und dir dein persönlicher Stundenplan zusammengestellt wurde. Die Tests waren für mich als 26-jährigen, der schon ein Bachelorstudium abgeschlossen hatte, nicht besonders schwer. Die meisten von den Tausenden Jugendlichen waren Rock/Pop-Musiker oder Singer-Songwriter.
Ich erhielt nun endlich meinen Stundenplan. „Wow, ganz schön viele Kurse die da stehen.“ Es sollte sehr anstrengend werden. Von Montag bis Freitag oft von 9 bis 19 Uhr. Teil davon waren viele Ensembles (Die 5-Week Bigband, 2 verschieden Jazz Ensembles und das Motown Ensemble), Arrangement, Gehörbildung/Solfege, Jazz-Harmony, Saxophon-spezifische Musikgeschichte, Stiles of Woodwinds, Sightreading for Saxophones, Improvisation for Saxophones und meine wöchentliche halbstündige Saxophonlesson. Am meisten war ich natürlich gespannt auf den privaten Saxophonunterricht. Ich hatte mich sehr auf George Garzone und andere Dozenten gefreut. Jedoch erfuhr ich, dass die meisten regulären Dozenten gar nicht da waren und viele der Lehrer ehemalige Absolventen und Gastdozenten waren.
Leider war es sehr schwer, in 30 Minuten einen produktiven Unterricht zu machen und sich richtig kennen zu lernen und über die Basics hinauszugehen. Bis ich ausgepackt hatte und der kurze Smalltalk vorbei war konnte ich quasi wieder einpacken. Das war Gott sei Dank nicht bei allen Lehrern so. Ich erhielt nachträglich noch Unterricht bei einem gleichaltrigen Trompeter und einem weiteren Saxophonisten.
In den ganzen Ensembles wurde mir bewusst, dass viele der „Five-Weekers“ das erste mal mit Jazz in Berührung kamen oder sich erst seit Kurzem damit beschäftigten. Die meisten von den Jugendlichen waren Rock/Pop-Musiker oder Singer-Songwriter.
Am meisten gefiel mir Solfege. Ich kam in eine sehr gute Gehörbildungsgruppe und auch der Lehrer Bob Pilkington war fantastisch. Ich als Solfege-Anfänger in einer Gruppe von Absoluthörenden. Auch im Ensemble von Phil Grenadier fühlte ich mich sehr wohl. Ich fühlte mich endlich herausgefordert.
Man konnte sich im Rahmen des Workshops auch für All-Star Ensembles, die beim großen „Blow-Out Konzert“ am Ende auftreten dürfen, bewerben. Auch gab es die Möglichkeit sich für Stipendien zu bewerben. Beides nahm ich wahr, um noch mehr aus meinem Aufenthalt zu machen. Es klappte: Ich erhielt ein Stipendium über 30.000 Dollar pro Jahr (falls ich in Berklee anfangen wollen würde zu studieren) und kam ins Funk/Fusion All-Star Ensemble, was sich am Ende nur als ein Titel anstatt als eines außerordentlich musikalischen Erlebnises rausstellte. Wir spielten zwei Songs, probten zwei Mal dafür und jeder erhielt ein kleines Solo von 8 Takten. Das wars.
Außerhalb des Programms gab es viel zu sehen und zu erleben. Abends ging ich gerne mit meinen neuen Freunden aus der Ü21-Abteilung ein Bier trinken, denn Bars gab es dort genug. Am Wochendende an den Strand oder tagsüber Besichtigungen wie z.B. Museum of Fine Arts, Freedom Trail etc..
Alles in allem hab ich mich musikalisch etwas unterfordert gefühlt. Ich nutzte aber viel Zeit abends in den Überäumen, die man rund um die Uhr nutzen konnte. Gleichzeitig war es aber ein sehr interessanter Einblick in die amerikanische Musikausbildung. Ich lernte tolle Leute kennen und konnte mir ein eigenes Bild vom „Berklee College of Music“ machen. Für mich ging es dann noch privat zwei Wochen nach New York. Urlaub!
von Moritz Stahl